50. Wenn andere schwanger werden…
52. Innere Haltung durch ein persönliches Mantra
53. Standardantworten auf grenzüberschreitende Fragen
Grundsätzlich gilt: „Outen“ ist nicht zwangsläufig besser als „Nicht-outen“. Bevor Sie also jemandem von Ihrer Kinderwunschproblematik erzählen, sollten Sie zwei Dinge überprüfen:
Ein echtes Bedürfnis, ihr momentan zentrales Lebensthema jemandem mitzuteilen, haben Sie in der Regel erst dann, wenn Sie Unterstützung brauchen – oder wenn Sie möchten, dass besagte Person sie voll und ganz versteht.
Komplizierter wird es hingegen, wenn Sie vor allem unangenehme Nachfragen abstellen möchten in Bezug auf Ihre Familienplanung. In diesem Fall sind Sie nämlich von außen gesteuert und versuchen womöglich impertinente Bemerkungen abzuwehren.
Der zweite Aspekt der Outing-Frage: die vermutete Reaktion des Gegenübers. Wenig hilfreiche Reaktionen wären Beschwichtigungsversuche, eine Tabuisierung des Themas, unwillkommene Tipps oder schlichtweg die Aussage, dass man auch ohne Kind glücklich werden kann. Wenn Sie eine dieser Reaktionen erwarten, seien Sie vorsichtig und überlegen Sie besser zwei Mal.
Denn: Sie brauchen all Ihre Kraft für die Bewältigung des Kinderwunsches – und nicht für zusätzliche neu erworbene Probleme.
Gleichzeitig nimmt aber ein Outing auch Druck von Ihnen. Die Kommunikation nach außen fördert zudem die Akzeptanz des Kinderwunschproblems nach innen.
Einen allgemein gültigen Lösungsweg gibt es letztlich nicht. Die genannten Fragen müssen Sie immer wieder neu beantworten.
Tendenziell outen sich Kinderwunschpaare:
Zu jedem Kinderwunschpaar gehören in der Regel verhinderte Großeltern. Und es kann auch sein, dass jüngere Geschwister in der Nachwuchsfrage an einem „vorbeiziehen“.
Taufen, runde Geburtstage oder Weihnachtsfeiern in der Familie sind meist emotional äußerst schwierige Veranstaltungen für das betroffene Paar.
Viele „Outings“ in der Familie laufen dennoch nicht ganz so schlecht ab. Insbesondere der Erwartungsdruck der verhinderten Großeltern wird danach weniger – und die Frage „Wollen die nicht oder können die nicht?“ ist endlich klar beantwortet.
Doch manchmal kommt es auch zu problematischen familiären Verstrickungen:
So wie die Familie ist, so geht sie auch mit dem Kinderwunschproblem eines Familienmitglieds um:
Das Prinzip, so wie die Familie ist, so geht sie mit dem Kinderwunschproblem eines Familienmitgliedes um, funktioniert allerdings auch umgekehrt, also in die positive Richtung:
Zusammenfassen lässt sich sagen: Ein unerfüllter Kinderwunsch bringt die Qualität der Beziehungen in der Herkunftsfamilie auf den Punkt. Insofern funktioniert es dort genauso wie zwischen Ihnen beiden als Paar.
… wird es für die meisten Kinderwunschfrauen problematisch. Insbesondere die Eröffnung einer Schwangerschaft erwischt ungewollt kinderlose Frauen kalt. „Warum die und ich nicht?“- das ist die Frage, die sich dann innerlich aufdrängt. Manche nennen es Neid, manche sagen, dass es eher ein sozialer Schmerz ist. Das Glück der anderen reißt die eigene Wunde auf.
Besonders schwierig sind für Kinderwunschfrauen folgende Schwangerschaften:
Was tun? Sich entziehen und das Unvermeidliche aushalten. Wichtig ist, dass Sie ein inneres Notfallprogramm bei Schwangerschaftseröffnungen und bei Dauergesprächen über Schwangerschaften abspielen können:
Jede Kinderwunschfrau hat mit diesen Manövern Erfahrung.
Bleiben Sie selbstbewusst. Sie brauchen all Ihre Kraft für die IVF. Sie müssen sich also nicht alles geben – insbesondere dann nicht, wenn Sie gerade in einem Behandlungszyklus stecken oder bis vor kurzem waren und ein negatives Testergebnis bekommen haben. Achtsam mit sich selbst zu sein, heißt auch, ganz gezielt schwierige Situationen zu vermeiden. „Kinderwunsch-Egoismus“ ist erlaubt.
Die Lebensrealitäten von Ihnen und Schwangeren werden sich – womöglich für einige Jahre – trennen. Für jede Kinderwunschfrau stehen jetzt andere zentrale Lebensthemen im Vordergrund.
Ein Spezialfall ist die Schwangerschaft der besten Freundin. Dort empfiehlt es sich, dass Sie Ihre Situation und Ihre Gefühle erklären. Dass Sie deutlich sagen, Ihr möglicher Rückzug habe nichts mit der Freundin oder dem Baby zu tun – sondern dass Sie sich gerade selbst im Weg stehen: Es sind mehr Gefühle aufgebrochen, als Sie verarbeiten können.
Vielleicht sind Sie auch bald schwanger – und ihre Lebenslinien laufen dann wieder parallel.
Dass sich Kinderwunschfrauen mit Schwangeren schwertun, ist bekannt. Es geht Ihnen nicht gut, auch weil sie sich missgünstig fühlen. Eine Spaltung kann für Ihr Wohlbefinden hilfreich sein: Innerlich sagen Sie sich, dass Sie Abstand zur Schwangeren brauchen, aber dem Kind wünschen Sie trotzdem alles Gute für sein Leben.
Es ist in Ordnung, dass Sie sich für die Schwangere nicht freuen können. Denn wieder einmal wird in dieser Situation deutlich, dass Sie von dem „magischen Zustand“ einer Schwangerschaft zur Zeit noch weit entfernt sind. Wenn Sie sich aber nur auf das ungeborene Kind konzentrieren, können Sie Zugang zu anderen Gefühlen bei sich finden: Schutz, Unschuld, Wohlergehen, Lebensglück. Da das Kind nichts „dafür“ kann, schafft es fast jede Kinderwunschfrau, innerlich und leise dem Ungeborenen Gutes zu wünschen.
Die effektive Strategie für Schwangerschaftseröffnungen lautet demnach: Fokus weg von der schwangeren Frau, Fokus hin zum Kind.
Schließlich werfen Kinderwunschfrauen ihrem IVF- bzw. ICSI-Kind auch nicht vor, dass es erst der 23. Embryo war, der geklappt hat. Auch dort kann das Kind nichts für die 22 Embryonen davor, die nicht zu einer (intakten) Schwangerschaft geführt haben.
Mit Ihrem persönlichen „Powersatz“ wappnen Sie sich vor Schwangerschaftseröffnungen und -themen. Er hilft Ihnen, Distanz zum aktuellen Geschehen zu bekommen. Und: Er trägt dazu bei, dass Sie von Ihren Gefühlen nicht überwältigt werden. Ein solcher „Powersatz“ kann so lauten:
Psychologisch weiterführend ist insbesondere der erste Satz „Möge das Kind ein glückliches Leben haben!“. Hierbei richten Sie den Fokus auf das Kind – und nicht auf Ihre möglichen Neidgefühle gegenüber der Schwangeren. Sie spalten also, wie bereits erwähnt, zwischen Mutter und Kind auf.
Um nicht kalt erwischt zu werden, sollten Sie Antworten auf die Frage „Wann ist es denn bei Euch soweit?“ vorbereitet haben. Diese Antworten sind abhängig von Ihrem Alter, von Ihrer Entscheidung sich zu outen oder nicht zu outen und von der Person des Fragestellers.
Wenn Sie auf der Meta-Ebene antworten, gehen Sie inhaltlich nicht auf die Frage ein. Sie sagen dann zum Beispiel:
Sie haben ein Recht auf Nicht-Einmischung. Unerfüllter Kinderwunsch ist ein sehr persönliches und intimes Thema. Und: Es unglaublich, wie impertinent oder pseudo-vertraulich manche Menschen nachfragen. „Es muss sich ja nicht jeder so schnell fortpflanzen wie Du“ wäre manchmal eine gute Retourkutsche.
Eine Kinderwunschbehandlung ist zeitaufwendig und nicht unbedingt planbar. „Ich bin gefühlte 100-Mal durch die Tür des Kinderwunschzentrums gegangen“, beschreibt die Realität der Frauen ziemlich treffend.
Die Liste der Ausreden am Arbeitsplatz ist lang: Zahnschmerzen, Blasenentzündung, Magen-Darm-Infekt. Alles schon mal gehabt. Auch Handwerker waren frühmorgens öfter da – und die Schwiegermutter musste zum Arzt gefahren werden.
Irgendwann gehen die Ausreden jedoch aus. Und dann wird es insbesondere für Frauen mit einem fixen Arbeitsbeginn schwierig im Job. Denn auf der anderen Seite stehen die notwendigen Routineaufgaben des Kinderwunschzentrums: Die Hormone müssen morgens in der Praxis abgenommen werden, damit die Ergebnisse mittags feststehen. Bevor um 14 Uhr die sogenannten Erstgespräche beginnen, gibt der IVF-Arzt – nach Durchsicht der Blutergebnisse – Anweisungen für seine Patientinnen im laufenden Zyklus: Wer muss wie weiter seine Eierstöcke stimulieren, wer muss wann den Eisprung mittels Hormonspritzen „auslösen“, wann ist die „Punktion der reifen Eizellen, sprich deren Entnahme für die anschließende künstliche Befruchtung. Eine Blutabnahme um 16 oder gar 17 Uhr, also zur Feierabendzeit, würde das Personal und den Arzt bis weit in den Abend hinein an die Praxis binden. Das ist schlichtweg nicht machbar. Deswegen stauen sich allmorgendlich zahlreiche Patientinnen, die dringend in die Arbeit müssen, im Wartezimmer ihres Kinderwunschzentrums. Denn der Kinderwunsch hat stets Priorität.
Das Dilemma zwischen Arbeit und Behandlung ist also kaum lösbar. Am besten fahren diejenigen Kinderwunschfrauen, denen eine oder zwei Kolleginnen den Rücken frei halten. Diese Kolleginnen sind informiert über den tatsächlichen Grund des Zuspätkommens, übernehmen das Telefon – und fragen nicht viel nach. Sie sind vorbereitet auf nur ungefähr planbare Fehltage wegen Punktionsterminen und anschließenden Embryonentransfers.
Manche Kinderwunschfrauen informieren auch Ihren Chef über die Behandlung und somit über den wahren Grund für ihre häufige Abwesenheit. Im Regelfall erhalten sie eine professionelle Reaktion des Vorgesetzten, etwa: „Das kenne ich schon, das hatten wir hier schon öfter.“ Knapp 200 000 geborene IVF- und ICSI-Kinder in Deutschland und eine x-fach höhere Behandlungsanzahl haben in der Arbeitswelt eben Spuren hinterlassen.
Ein wichtiger Tipp für Frauen, die sich am Arbeitsplatz nicht outen wollen: Lassen Sie besser Atteste aus dem Kinderwunschzentrum vom Hausarzt umschreiben. Die Namen der örtlichen IVF-Ärzte sind in den Personalabteilungen meist bekannt. Und Hausärzte sind an Umschreibungen von solchen Krankmeldungen gewöhnt – viele Frauen vor Ihnen haben längst „Vorarbeit“ geleistet.